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Das Schnürsenkeldilemma

Als sich heute mein Einkaufsbummel in der samstagsvormittäglich überfüllten Innenstadt der Zielgeraden näherte, fasste ich spontan den Entschluss, diesmal nicht den bereits in Haltestelle-Pole-Position nervös wartenden Linienbus zu nehmen, der mich praktischer- und bequemerweise fast vor die Haustür bringen würde, nein, sondern, die zwei relativ schweren Einkaufstüten in jeder Hand als Last ignorierend und das schöne Wetter (d. h. den heiteren Himmel, aus dem diese Entscheidung kam) genießend, den Rest der Strecke zu Fuß nach Hause zu gehen.

Etwa hundert Meter vor der Wohnung wurde mir klar, dass dies möglicherweise eine Fehlentscheidung war.

Es war zuerst nur ein unbestimmtes Gefühl am rechten Schuh, nach einem kurzen Blick auf denselben wurde es zur Gewissheit:

Der Schnürsenkel begann sich langsam und in einer Art stoischer Unbeirrtheit zu lockern.

Wieso der rechte und nicht der linke bzw. warum nicht beide, wo doch beide aus gleichem Material und gleich lang waren? Außerdem von mir in gleicher Weise und Stärke geknotet und geschleift worden waren?

Keine Antwort.

(Schnürsenkel reden nicht viel.)

Nächste Frage:

Was tun?

Wenn ich jetzt die beiden Einkaufstüten abstellen (die dann möglicherweise umfallen und ihren Inhalt über den Gehweg verteilen), mich herunterbeugen, gar niederknien und den rechten Schuh wieder fest zubinden würde, wäre dies ein zeitlicher Aufwand, eine recht komplexe und ziemlich aufwändige Aktion, die eigentlich in keinem Verhältnis zu dem Umstand stehen würde, dass ich ja nur schlappe hundert Meter von Zuhause weg bin, woselbst ich dann ohnehin die Schuhe ausziehen werde.

Schließlich soll der edle IKEA-Teppich nicht mit ordinärem Straßenstaub kontaminiert werden.

Also einfach weitergehen, so tun, als ob nichts wäre, das Geschlurfe des halboffenen rechten Schuhs ignorieren?

Diese Handlungsvariante birgt allerdings die Gefahr, dass sich der Schnürsenkel komplett aus Schleife und Knoten löst, seitlich am Schuh herunterhängt, sich irgendwie mit irgendetwas verhakt, mich aus dem Schuh und nach vorne kippen, heftig mit dem Gesicht auf das Straßenpflaster aufschlagen lässt (kann mich ja schlecht abfangen wegen der Einkaufstüten in den Händen), dies möglicherweise vor der Haustür, somit in Sichtweite des Ziels, nahe der Rettung ..., nein, das darf nicht geschehen.

Wehret den Anfängen!

Ich stellte die Einkaufstüten ab, lehnte sie an eine Hauswand, sie fielen nicht um.

Prima.

Ich kniete mich hin, band den rechten Schuh wieder fest zu, vergaß dabei nicht, auch den linken Schnürsenkel auf korrekten Sitz zu überprüfen.

Ich richtete mich auf.

Nahm die Tüten in die Hände.

Ich dachte mir: Mit derart perfekt geschnürten Schuhen könnte man gut und gerne zwei, drei Kilometer laufen.

Ich drehte mich um und ging zurück in Richtung Innenstadt.

Über mir blauer Himmel, keine Wolke am Horizont.

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